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Wir befinden uns an der Schwelle zum
nächsten Jahrtausend. Neue Forschungen
und Produkte sollen uns das Leben
erleichtern. Die Industrie arbeitet für uns,
für Frieden, Freiheit und Wohlstand. Am
Grenzstein 20.03 an einem Versuchsfeld
eines grossen Agrarkonzerns, der hier
Freilandversuche mit genmanipuliertem
Pflanzen durchführt, passierte vor einiger
Zeit folgendes.
Es war 5 Uhr morgens. Nebel lag noch
über der Landschaft, Vögel kreisten über
die Flur und das Dorf in der Nähe erwachte
langsam. Es war die Jahreszeit für Bestellung
der Felder. Aber noch bevor an
diesem Tag das Saatgut ausgebracht
werden konnte, erreichte die Bevölkerung
des nächsten Ortes das Versuchfeld und
lies sich kurzerhand darauf nieder. Innerhalb
weniger Stunden errichteten Jugendliche
aus Bretterpalisaden einen Wachturm,
hissten eine Fahne mit einer Sonne
darauf und fingen an zu kochen.
Wendland lässt grüssen, dachte ich mir.
Und auch die Polizei ließ nicht lange auf
sich warten, es war nicht einmal 7 Uhr,
aber auf jeden Fall waren sie zu spät.
Im Verlauf des Tages kamen immer mehr
Menschen aus der Region, brachten Holz,
Essen, machten Musik, feierten und informierten.
Das Spezialsaatgut, die Industrie-Funktionäre
und die Polizisten waren aussen vor - und das
war gut so. An diesem Tag haben die Leute aus der Region
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das Aussähen des genmanipulierten
Saatguts verhindern können. Sie hatten
Angst vor solchen Experimenten und handelten
spontan unterstützt von AnwohnerInnen und
LandwirtInnen. Neueste Erkenntnisse
zeigen, dass die Gefahren
nicht zu unterschätzen sind. Widerstand
wurde für sie hier zur Pflicht.
In amerikanischen und englischen Labors
ergaben Versuche mit genmanipuliertem
Mais, dass die darauf abgelegten Insektenlarven
ausschließlich sterben oder mutiert
ausschlüpfen. Kleinste Veränderungen
nehmen Tieren die natürlichen Lebensgrundlagen,
was sich in der Nahrungskette
auf alle Lebewesen auswirken
kann. Mit der Freisetzung dieser pflanzlichen
Zeitbomben überschreitet der
Mensch nicht nur die Türschwelle zwischen
Labor und Umwelt, sondern auch
eine ethisch moralische Grenze. Er setzt
in ein hochkomplexes System, in die in
Millionen von Jahren entstandene Natur,
von ihm geschaffene Organismen. Die
Komplexität des Lebensraumes wird nicht
beachtet und offene Fragen nicht vollständig
geklärt. Argumente und positive Forschungsergebnisse
fehlen. Ein Spiel mit dem Feuer.
Letztendlich wurde am dritten Tag der
Wille und die Befürchtungen der Menschen
gewaltsam übergangen - von den
Medien weitgehend ignoriert. Der Staat
schützt das Eigentumsrecht des Konzerns,
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FAKT IST: IN EINER UMFRAGE DER GESELLSCHAFT FÜR KONSUM-,
MARKT- UND ABSATZFORSCHUNG (GFK) SPRACHEN SICH UNTERDESSEN
DREI VIERTEL DER BEVÖLKERUNG GEGEN DIE VERARBEITUNG
VON GENMANIPULIERTEN MATERIAL IN IHRERN LEBENSMITTEL AUS.
UND: AUFGRUND NEUESTER ERKENNTNISSE US-AMERIKANISCHER
WISSENSCHAFTLER ÜBER DIE ARTÜBERGREIFENDEN AUSWIRKUNGEN
GENMANIPULIERTEN MATERIALS SIND FREILANDVERSUCHE MIT
MANIPULIERTEM MAIS IN EUROPA UND ENGLAND BIS AUF WEITERES
GESTOPPT WORDEN. ALSO: UNGENIERT LEBEN!
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aber nicht die existenziellen Ängste
der BürgerInnen. So wurden die Palisaden
mit einem Räumfahrzeug zerstört,
Anwesende verhaftet und das Feld durch
PolizistInnen umstellt und geräumt. Unter
den Augen des in Anzügen herbeigeeilten
Rechtsapparates des Unternehmens
und den Pfiffen der Menschen konnte ein
Ersatzbauer (der andere war nämlich zur
Vernunft gekommen) das Feld bestellen.
Den Befürchtungen und dem Widerstand
der Menschen gegenüber Projekten mit
genmanipulierten Pflanzen in der freien
Natur wird staatliche Gewalt entgegengesetzt,
der Staat wird zum Handlanger und
Behörden zu TäterInnen. Eigentum ist
nicht alles.
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Gerade das Recht auf Unversehrtheit
der Menschen ist als höheres
Gut zu wahren. Die grössten Förderer dieser
,,Zukunfts''-Technologien sind die Hersteller
von Nahrungsgütern, wie Nestlé,
General Food und ähnliche. Es sind Wirtschaftsunternehmen,
deren einziges Ziel es ist, ihre
Gewinne zu maximieren. Vernünftige
Überlegungen, die Achtung moralischer
und ethischer Regeln passen in
kein Wirtschaftskonzept. ,,Global Players''
spielen mit unserem Globus. Die Wirtschaft
bestimmt die Politik auch in diesem
Bereich, sie bestimmt welche Grenzen
wann fallen, welche Richt- und Grenzwerte
gelten oder überholt sind.
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