[ Michael Bergweiler ] Soziale Ausgrenzung findet nicht nur durch den bislang praktizierten Abbau sozialstaatlicher Leistungen statt. Insbesondere der innerstädtische Raum zahlreicher Großstädte reproduziert zunehmend das Abbild des neuen gesamtgesellschaftlichen Konsenses. Soziale Ausgrenzung wird auch auf den Strassen und Plätzen der Konsumzonen vollzogen. In den Metropolen etabliert sich ein neues Stadtbild, in dem öffentliche und private Räume ineinander übergehen. Die klassischen Orte der Öffentlichkeit - Straße, Platz und Park - werden heute teilweise durch Malls, Einkaufszentren und Passagen ersetzt. Diese Örtlichkeiten sollen konsumwillige BürgerInnen - vornehmlich aus der suburbanen Mittelschicht - anziehen, die dem Alltagsstress zu entkommen suchen. Die BetreiberInnen der Kaufhäuser und Ladenketten sind bestrebt, ein ungestörtes Kauferlebnis anzubieten. Unerwünschte Gruppen wie Obdachlose, Punks, Dealer sollen ferngehalten und kosumabträgliche Situationen wie Betteln, Dealen, öffentlicher Konsum von Alkohol und anderen Drogen vermieden werden. Eine profitable Immobilienverwertung und die Steigerung des Warenumsatzes werden in direkte Beziehung zu Sicherheit und Ordnung gesetzt. Die Innenstadt gerät somit immer mehr unter privatwirtschaftliche Kontrolle und damit auch unter die Aufsicht privater Sicherheitsdienste. Eine ähnliche Entwicklung ist bei der Deutschen Bahn zu verzeichnen. Das Unternehmen macht deutlich, was Privatisierung vormals öffentlichen Raums bedeutet: Wo die Deutsche Bahn AG auftritt, gilt ihr Hausrecht. Und da hat sich |
der Gast ordentlich zu benehmen oder wird vor die Tür gesetzt. Der Bundesgrenzschutz und der Sicherheitsdienst der Bahn führen Kontrollen durch, nehmen Personalien auf, verweisen des Platzes, nehmen fest. ,,Service, Sicherheit und Sauberkeit'' soll auf allen Bahnhöfen einkehren. Die Bahn möchte weg vom Schmuddelimage und sich als modernes Dienstleistungsunternehmen präsentieren. Im Zuge der Globalisierung, die den Fluss von Kapital, Arbeit und Informationen über nationale Grenzen hinweg erleichert, agieren zunehmend auch Städte, Staaten und supranationale Zusammenschlüsse - wie die EU etwa - als eigenständige ,,Unternehmen''. Sie kämpfen um Arbeitsplätze und Investitionen und konkurrieren mit Wechselkursen, Steueranreizen, stabilen politischen Rahmenbedingungen, attraktiver kultureller Umgebung und niedrigen Sozialabgaben miteinander. Auch und gerade für Städte gilt, den eigenen Standort mittels städtischem Management für den Weltmarkt fit und für das Kapital lukrativ zu machen. Hierzu gehört auch das Aufwerten innerstädtischer Wohnungen und die Schaffung exklusiver Konsummöglichkeiten: Einkommensstärkere Schichten sollen angezogen werden. Auf der anderen Seite werden aus dem Bereich der City sog. Randgruppen vertrieben, indem Geschäftsleute und städtische Behörden soziale Reglementierungen durchsetzen. Herumlungern, Trinken, Kiffen, Dealen oder Betteln gilt nun als abweichendes Verhalten, welches die öffentliche Sicherheit gefährdet. Im Herbst 1996 veröffentlichte der Hamburger SPD-Senator Wrocklage ein Papier mit dem Titel ,,Maßnahmen gegen die drohende Unwirtlichkeit der Stadt''. Dies |
beinhaltete hauptsächlich das Argument, dass die städtische Sozialpolitik in erster Linie ordnungspolitisch angegangen werden müsse. Die Medien, insbesondere die Hamburger Morgenpost, kritisierten den in der Drucksache vorgeschlagenen, menschenverachtenden Umgang mit den Bettelnden, andere tagespolitische Themen traten in den Hintergrund. Neben der Sozialsenatorin Fischer-Menzel protestierten auch der SPD-Vorsitzende Uthmann, die sozialdemokratische AG der Frauen und die Jusos gegen das Papier. Bürgermeister Voscherau wandte sich mit einem Schreiben an die SPD-Bürgerschaftsfraktion und den Landesvorstand. Das Papier wurde zwar offiziell zurückgenommen, jedoch durch die überarbeitete Fassung Verbesserung der Lebensqualität, Attraktivität und Sauberkeit der Stadtit lediglich ersetzt. Der Inhalt der neuen Fassung unterschied sich mit seinen Forderungen nicht wesentlich vom ersten Papier. Anfang 1997 rief Sozialsenatorin Fischer-Menzel eine Plakataktion (Motto: ,,In Hamburg muß niemand betteln'' und ,,Gott sei dank - in Hamburg muß niemand auf der Straße schlafen'') ins Leben, die auf städtische Hilfsangebote aufmerksam machen sollte. Mit diesen Plakaten wurde eine Sozialpolitik suggeriert, die ein Dasein am Rand des Existenzminimums schlechtweg ausschliesst. Die Anzahl der angebotenen Schlafplätze ist im Vergleich mit der Anzahl von Personen, die auf der Straße leben, gering. Der Sozialhilferegelsatz von 531 DM ist insbesondere angesichts des Mehrbedarfs sehr niedrig: keine Kochmöglichkeit, also warmes Essen im Imbiss oder Lokal; WC-Benutzung im Hauptbahnhof 1,50 DM; keine Aufbewahrungsmöglichkeit, also Schliessfach; viel Fahrgeld, um die in der Stadt weit verteilten Aufwärm- und |
|||
![]() |
![]() |
Essensangebote wahrnehmen zu können. Im Zusammenhang mit der Plakataktion wurde zudem auch eine ,,Argumentationshilfe für Fahrgäste [der U-Bahn], die nichts geben brauchen'' geschaffen. 1992 hat Bremen, gestützt auf das auf Asylverfahrens- und Ausländergesetz, Massnahmen ergriffen, Menschen mit schwarzer Hautfarbe aus bestimmte Bereiche der Stadt zu verbannen. Im Vorfeld hat sich - mittels rassistischer und verzerrter Berichterstattung der lokalen Medien - in der Bevölkerung ein Bild festgesetzt, daß jeder Schwarze ein Drogendealer, jede Gruppe junger schwarzer Männer eine ,,Drogengang'' sei. Die Betretungsverbote sind unbefristet, dass heißt, sie gelten ohne jegliche zeitliche Begrenzung. Grundlage ist die Behauptung der Polizei, Betroffene seien ,,wegen Handels mit Betäubungsmitteln (BtM) in Erscheinung getreten''. Diese Formulierung bedeutet nicht, dass die betreffenden Personen wegen Drogenhandels verurteilt oder Anklage gegen sie erhoben wurde. Voraussetzung ist auch nicht, dass sie auf frischer Tat bei einem Drogendeal erwischt bzw. dass Drogen bei ihnen gefunden wurden. Statt dessen dienen lediglich vage polizeiliche Angaben als Begründung: Etwa, dass die Person in Bereichen angetroffen wurde, die mit Drogenhandel in Verbindung gebracht werden; oder dass sie dort mit Junkies sprach. In anderen Fällen begnügte sich die Polizei mit der Feststellung vermeintlich auffälligen Verhaltens. Im Mai 1995 liess der Innensenator wissen, dass zwischen der Polizeiführung und dem Betreiber des Bremer öffentlichen Nahverkehrs (BSAG) Gespräche mit dem Ziel geführt würden, Dealern die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zu verbieten. Es sind Fälle bekannt geworden, in denen die BSAG Personen für ein Jahr ,,von der Beförderung auf allen Linien und Fahrzeugen der BSAG'' ausgeschlossen hat. Benutzen sie trotzdem Bus oder Strassenbahn und werden dabei erwischt, stellt die BSAG Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. |
Auch in der Schweiz ist zu beobachten, wie Sozialpolitik zunehmend von ordnungspolitischen Maßnahmen verdrängt wird. So wird von behördlicher und gewerblicher Seite aus versucht, das Postkarten-Idyll Berns durch Säuberungs- und Vertreibungspläne aufrechtzuerhalten. Das Schweizer Ausländerrecht erlaubt es, daß Nicht-SchweizerInnen in Sperrbezirken beliebig ein- oder ausgegrenzt oder ohne Anklage bis zu einem Jahr in Haft genommen werden können. Der Hauseigentümerverband als weiteres Beispiel fordert die HausbesitzerInnen auf, Strafanzeigen wegen Sachbeschädigung einzureichen. Um gegen die Sprayereien vorzugehen, verteilt er unter den Mitgliedern vorgedruckte Formulare, um damit Anzeigen zu erstatten. Was zur Folge hat, dass bei der Polizeilichen Kriminalstatistik eine massive Zunahme bei den Sachbeschädigungen zu verzeichnen ist. Die Stadt ist also noch ,,krimineller und gefährlicher'' geworden. Das legt dann polizeiliche und ordnungspolitische Maßnahmen nahe. Der GewerbebetreiberInnenverband Entente Bernois setzt sich für die Finanzierung privater Sicherheitsdienste ein, um die Drogenszene aus der Innenstadt zu vertreiben. Darüber hinaus soll die ,,Demonstrationswut'' einzelner Minderheiten eingedämmt werden. ,,Einkaufsbummel statt Demorummel'' hieß die Losung, welches ein Demonstrationsverbot während des Weihnachtsverkaufes nach sich zog. Die Linke hatte sich für die Entwicklungen in der Innenstadt lange Zeit wenig interessiert. Nachdem durch diverse Aktionen verschiedener Innenstadt-Aktionsgruppen deutlich wurde, dass die City nicht nur eine Konsumzone darstellt, sondern auch Schauplatz von Kämpfen ist, die um unterschiedliche und sich widersprechende Nutzungen und Bedeutungen ringen. Die Definitionsmacht sollte die Linke nicht der profitorientierten Lobby der Saubermänner und -frauen überlassen. |