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DIE DEMO. Der Lautsprecherwagen fordert mehrmals von uns, die Party aufzulösen. Doch irgendwann ist es soweit. Der Beat kommt. Die Party läuft. Der Pulk tanzt. Der Bahnhofsplatz lebt. Alles stimmt, das Soundsystem produziert den Daft-Punk-Klassiker ,,Revolution 909'', der mit dem Polizeiaufruf ,,Stop the music and go home, I repeat...'' beginnt. Plötzlich Tränengas in meinen Augen, Gummiknüppel auf meinem Rücken. Schluss mit lustig. Der DJ wird zum Staatsfeind Nr. 1, das Soundsystem zerstört. Neben mir verzweifelt ein technoides Opfer: ,,Das können die nicht machen. Wir wollten doch nur feiern!'' DIE STADT. Wenn man sich bewusst dafür entscheidet, in Frankfurt am Main zu leben, wird man regelmäßig mit seinen sozialen Kontrasten konfrontiert. EURO-City |
Bankfurt, Junkfurt mit seinen Druckräumen und Obdachlosenprojekten, die Zeil, Deutschlands längste Konsummeile. Auf dem Gelände des alten Güterbahnhofes soll eine strahlende Konsumretortenstadt entstehen - das Europaviertel, mitten im Frankfurter Ghetto. Nirgendwo sonst liegen so krasse Kontraste geographisch so nahe beieinander. DAS VERHÄLTNIS. einer Stadt zu seinen Kulturschaffenden. Der Berliner Künstler Andreas Siekmann konfrontiert die Besucher in seiner aktuellen Ausstellung mit der Aufschrift ,,Falsche Freiheit Frankfurt''. In dem ihm typischen pathetisch-depressiven Gestus klagt Schriftsteller Matthias Altenburg an, dass ,,diese diese Stadt noch immer die Beine breit gemacht hat für das nimmersatte vagabundierende Kapital''. Silke Hohmann beschrieb in der Frankfurter |
Rundschau ihr Verhältnis zur Mainmetropole: ,,Hassliebe ist unter Frankfurtern wahrscheinlich sowieso das gängigste Motiv dazubleiben. Frankfurt hat sich noch nie um die gekümmert, die es gut meinen. Und darum kann man sich an Frankfurt auch niemals rächen. Man macht eben weiter, so gut man kann. Man versucht das, was man selbst vermisst, herzustellen.'' Tom Noeding, der sich in seiner wöchentlichen Radio-X-Sendung ,,Tom's Playground'' um Kopf und Kragen redet, schaffte erstmals ein klares Statement: ,,Ich bin ein Partylangweiler. Und dazu stehe ich. Denn ich bin Frankfurter.'' Würde er mit diesem Slogan bedruckte T-Shirts auf den Markt bringen, gehörte er schnell zum vermögenden Teil dieser Stadt. |
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,,KOMMT MIT AUFS NIEDRIGE NIVEAU. |
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DIE SZENE. Vor zwei Jahren blühte Frankfurts Off-Kultur regelrecht auf. In alten Industriegebäuden, Autobahn-Tankstellen, Brücken und Hafenanlagen - eben an jenen Orten, die die postindustrielle Großstadt ausspuckte und verrotten ließ - entstanden temporäre Partylocations und Galerien. Viele der Protagonisten agierten in unterschiedlichen Bereichen. Annette Gloser hatte mit der kleinen Galerie Fruchtig einen Ort geschaffen, an denen ebenso Vernissagen und Performances stattfanden wie Konzerte und Parties. Der Space-Place Wanderclub machte illegale elektronische Parties, um den öffentlichen Raum einer Zweckentfremdung zu unterziehen und gegen die zunehmende Privatisierung und Ausgrenzung zu agieren. Endlich entstanden Schnittstellen zwischen Kunst, Party und Politik in einer Stadt, in der sonst jede Szene isoliert vor sich hin tanzt. Immer mehr Leute feierten immer mehr Parties. Die Selbstorganisation ohne Lizenz und Ordnungsamt reichte lange über Sommer-Goa-Parties hinaus bis in das nächste Jahr. Die Kunstaktion und der Techno- oder HipHop-Event orientierte sich an der Musik und dem ungewohnten Ort ohne Klo, nicht am Kommerz, DJ-Kult oder Türsteherwichser. Niedrige Preis-Politik garantierte den egalitären Charakter. Das szeneinterne Flyer-Infosystem begründete sich weniger auf Ausgrenzung, vielmehr fürchtete man den langen Arm der Ordnungshüter. |
DIE STAATSGEWALT. schlug immer häufiger zu. Temporäre Locations wurden geschlossen, nicht selten kam es zu Sanktionen. Kommerzielle Riesenclubs wie das U 60311 schwärzten die Konkurrenz bei der Bauaufsicht wegen befürchteter ,,Wettbewerbsverzerrung'' an. Trendscouts wurden auf das neue subversive Phänomen angesetzt. Der ,,Schmuddel''-Chic kam auf den Präsentierteller. Im Juli '97 krönte die Stadtillustrierte PRINZ den Space Place zum ,,angesagtesten Club Frankfurts''. Das Bezeichnende an Trends ist ja bekanntlich, dass sie so schnell wieder verschwunden sind, wie sie einst kamen. Einige Partymacher haben sich abgesetzt oder kapituliert. Die meisten, wie auch die Space-Place-AktivistInnen, sind nun Clubbetreiber und haben Lizenzen und feste Locations. ,,Teilweise ist es nur Trotz, der mich hier hält. Trotz dagegen, dass es so wenig gibt abseits der durchgestylten Schicki-Bars und der bis auf wenige Ausnahmen langweiligen Galerienlandschaft.'', resümiert Off-Galeristin Annette Gloser ihre Zeit nach Fruchtig. Wie unzählige Locations auch steht die Galerie seit einem Dreivierteljahr leer und wird demnächst abgerissen. Auch wenn sich das Nachtleben hier gewandelt hat und sich von der Straße wieder mehr in Clubs bewegt, wird immerhin der kommerzielle Club-Oligopolismus von Batschkapp/U60311/Cooky's eingeschränkt. |
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,,MESSE, DANCEFLOOR, HURENHAUS'' |
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,,WENN ICH NICHT TANZEN KANN, IST DAS |
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Junge Städel-Künstler haben sich zum Phantombüro zusammengeschlossen und betreiben eine trashige Location im Rotlichtviertel, die immerhin Bier aus Dosen für 3,- Mark bietet. Die neu berufenen jungen TAT-Regisseure Tom Kühnel und Robert Schuster führen im Theater am Turm die Konstante des künstlerischen Aufbruchs fort. Zwei Mal versuchte die CDU bereits, das unbequeme Theater zu schließen, 1974 gelang es ihr zeitweise. Ein weiterer Lichtblick für Frankfurts Schnittstellen bleibt etwa die Berufung von Nicol aus Schafhausen an die Spitze des traditionsreichen Frankfurter Kunstvereins. Seitdem werden gezielt Verbindungen zu Partykultur und Elektro-Avantgarde aufgenommen. |
Das Kunstinstitut wandelt sich nachts zur fkv-bar, der liberale Bildungsbürger-Ästhet wird von der Party-Fraktion abgelöst. DER PROTEST. Im städtebaulich vernachlässigten Ostend hängt tapfer und trotzig ein für Frankfurt typischer Apfelwein-Bembel an der Hauswand des Ostklubs. Dies ist das familiäre Reich von Hans Romanov, einer der letzten Lokalhelden dieser Stadt. Vor dem Ostklub hatte er verschiedene andere Bars, u.a. in der Halbwelt des Junkie- und Rotlichtviertels am Laufen, erzählt er und immer gab es Ärger mit den Ordnungshütern. Vor vier Jahren platzte ihm endgültig der Kragen. |
Die Idee einer Protestdemo gegen die Sperrstunde war geboren. Nachts. Unangemeldet. Mit Musik aus mobilen Soundsystemen. ,,Save Our Night'' war die Losung. DIE INSPIRATION. Klar gab es einige Vorbilder. In England kämpften zu dieser Zeit Traveller, Raver und Alternativlinge gemeinsam mit prominenten Musikern wie den Levellers oder Chumbawamba. Angriffspunkt war der ,,Criminal Justice Act'', ein neues Gesetz der Konservativen, welches massiv Grundrechte einschränkte und wichtige Formen der Gegenkultur wie freie Parties und Hausbesetzungen unterbinden sollte. |
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Die ,,Reclaim The Streets''-Bewegung (RTS) wandte sich gegen Grundrechteabbau und setzte sich für radikalen Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit ein. RTS wurde zum Vorbild einer neuen subversiven Protestkultur in Deutschland. Berlin feiert bis heute seinen eigenen RTS. Die Frankfurter Nachttanzdemo (NTD) wurde ebenfalls Exportmodell für Städte wie Marburg. Seit 1997 finden in vielen deutschen und österreichischen Großstädten die Innenstadtaktionen statt. Critical-Mass-Aktionen gegen den motorisierten Verkehrswahn laufen zur Zeit in fast jeder studentischen Innenstadt. |
DIE POLITISIERUNG. Die Nachttanzdemo der ersten zwei Jahre waren volle Erfolge für die Party-Fraktion. Das Fernsehen filmte die völlig überraschte Polizei dabei, wie sie spontan mitfeierte. Frankfurt wurde von den bürgerlichen Medien als liberaler Kulturstandort bestätigt. 1997 wurde jedoch alles anders. Die radikale und undogmatische Linke beging erstmals die Innenstadtaktionen in Frankfurt am Main. Die ,,Lärm '97'' wurde in das Konzept gegen Privatisierung, Ausgrenzung und Sicherheitswahn eingebettet. Eine einmalige Konstellation aus DJ's, Bands, Bars, Cafés, Clubs, linken Politgruppen, |
Plattenläden, KünstlerInnen u.v.m. kam zustande, von Spex über Nada Brahma bis zur Naturfreundejugend waren viele beteiligt. War es Zufall, dass die Party ausgerechnet in dem Jahr, wo sie sich erstmals radikal politisch äußerte, zusammengeknüppelt wurde? Hatte Udo Corts, CDU-Chef und damals Ornungshüter Nr.1, nur einen schlechten Tag erwischt? Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich passte es nicht in das drollig-aufmüpfige Klischee der Techno-Konsum-Generation, dass die völlige Freigabe aller Drogen |
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gefordert wurde und junge Menschen gegen die gezielte Ausgrenzung von MigrantInnen (weil potentielle Dealer), Obdachlosen, Drogen-Usern und Partyleuten aus der Innenstadt demonstrierten. Während der Staat jedes Jahr einen Techno-Karnevalszug mit 1 Million Ravern fördert und sich den Tiergarten vollpissen und einscheissen lässt, werden hier 2.000 Leute kriminalisiert und niedergeknüppelt. Aus dem Partyvolk wurden über Nacht Partisanen. Nachdem die Polizei - angereist von außerhalb mit Wasserwerfern und Mannschaftswagen - gegen 1 Uhr die Demo auseinandertrieb, teilte sich die Menge in Kleingruppen und lieferte sich bis um 6 Uhr morgens einen Guerillakampf mit den Ordnungshütern mitten in Frankfurt. Die Bilanz waren bis zu 50 Verhaftungen und Verfahren wegen Landfriedensbruch u.ä., die teilweise bis heute noch andauern. DER AUFSCHREI. Am nächsten Tag gab sich die Medienlandschaft empört. Niemand, nicht mal die konservative FAZ, konnte das Eingreifen der Polizei nachvollziehen. Die CDU stand alleine dar. Die Opposition versuchte sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Die Medien verstanden nicht, wie man feiernde Jugendliche wie Terroristen behandeln konnte. Kein Wort aber von den radikalen Forderungen. Während die Polizei die Partypeople kriminalisierte, entmündigte uns das linksliberale Gutmenschentum als harmlose Technokinder. Ist das nicht der Stoff, aus dem die in jenen Gazetten beschworene Politikverdrossenheit wächst? Unter dem Druck der Öffentlichkeit musste die Stadt eine weitere NTD einen Monat später genehmigen, die gegen den Polizeieinsatz protestierte. Es wurde möglich, was bis dahin immer abgeblockt wurde. Es bewahrheitete sich die alte linke Weisheit, dass gesellschaftliche Fortschritte von unten erkämpft werden müssen. Okay. Die ,,Lärmschutz '97'' war grösser, lauter und stieß auf riesiges öffentliches Interesse, und dennoch brachte es Space-Place-Betreiber Matthias Morgenstern auf den Punkt: ,,Il- legale Parties machen einfach mehr Spass!'' |
DIE ALTERNATIVE. Mit der Zeit wurde die NTD zu einer echten Frankfurter Institution der Party-Fraktion. Die ,,emissionen '98'' wurde angemeldet und mit über zehn Musikwagen noch grösser und populärer. Doch hinter den Kulissen gab es erstmals Reibungsflächen unter den vielen Gruppen. Ein Plattenladen wollte den grössten, lautesten und aufwendigsten Wagen und andere übertönen. Die politischen Forderungen reduzierten sich auf Akzeptanz und Förderung der Off-Kulturschaffenden. Waren dies erste Schritte zum Ausverkauf des Untergrunds? Der erste Schritt zur Frankfurter Love-Parade? Eines ist sicher. Die Forderungen setzten sich teilweise durch und gingen einher mit dem Niederlassen der illegalen, temporären Parties in feste Clubs. In diesem Jahr gab es keine NTD, ausnahmsweise nicht wegen Streitereien, die Protagonisten hatten einfach genug zu tun mit ihren eigenen Clubs. Vor einigen Wochen gab es den STREETLIFE-Tanzparcours, Hans Romanov ging wieder zurück zu den Wurzeln. Wir waren nicht ein Mischmasch aus Hunderttausend Gruppen, sondern ein gemeinsames Team. Innerhalb von drei Wochen wurde alles geplant. STREETLIFE war eine mobile, spontane Party. Die Route erfuhr man nur über direkt verteilte Flyer und live über die X-Fade-DJ-Night auf Radio X. Wir trafen uns an einem S-Bahnhof und fuhren quer durch die Innenstadt mit mobilen Soundsystemen und Percussions. Die Leute wurden über die Flyer aufgefordert, Ghettoblaster mitzubringen und Radio X einzuschalten. Der S-Bahn-Sicherheitsdienst und ahnungslose Bürger, die sich auf dem Weg von der Spätschicht zum Fernsehen machten, schauten ein wenig verduzt in die überfüllten Abteile. Jede Station wurden wir mehr. An der Frankfurter Messe stiegen wir aus. Der Ort war kein Zufall. Das neue gestylte Viertel aus Glas ist nach dem Bankenteil der Stolz von Politik und Kapital. |
Nach wenigen Minuten erschien der erste Musikwagen mit lautem Technobeats. Wie auf Kommando kreischte die Menge und wir rannten über die Gleise, über die Mauer und Strasse zum Wagen. Die Party war in vollem Gange. Die Polizei reagierte kooperativ. Wir latschten und tanzten über den Messekreisel zum Hafentunnel, ideale Partyorte. Und was 1 Million Tiergartenstampfer machen, können wir schon lange. Nicht wenige pinkelten gegen die Glasfassaden und Baustel- len der Messestadt. Ein befreiendes Gefühl in doppelter Hinsicht. STREETLIFE. sollte gar nicht den großen Anspruch einer NTD haben. Keine Gruppen, keine Verhandlungen mit der Stadt, keine 20 Wagen, keine Parolen, keine Massenveranstaltung. Und dennoch war sie die einzige Tanzdemo, die ihrem politschen Anspruch gerecht wurde: In den öffentliche Raum eintauchen, ihn besetzen und Ruhe und Ordnung ins Wanken zu bringen. Eines haben STREETLIFE und Love-Parade allerdings gemeinsam. Beide sind Proteste gegen das Konzept politischer Proteste überhaupt. Ohne Rituale und Parolen. Und damit sind beide hoch politisch und radikaler als 68 x '68. DER DRANG. nach ein bisschen mehr Hedonismus im Leben, die Suche nach Spass in einer doch so langweiligen Großstadt, die so gerne Weltmetropole wäre. Die Party als subversives Statement gegen ausgrenzende Politik und übermächtiges Kapital - das sind die Elemente des Untergrunds. Hier werden wir feiern, werden versuchen, die Zeit durch chemische Substanzen zu verlängern, solange es geht. Das Nachtleben reproduziert sich immer schneller. Nutzen wir die knappe Zeit. Gehen wir auf die Strasse, in die Clubs dieser Welt, fackeln wir das Ordnungamt ab und fangen wir an zu tanzen und zu demonstrieren. |