[ Christian Tedjasukmana ]

(Eine Vision:) Sie steigt die Treppe einer grossen U-Bahn-Station empor, überquert die sechsspurige Strasse einer Metropole. Sie läuft an einer Litfaßsäule vorbei, von der aus eines dieser H&M-Mädchen neben der ,,Jacke 29,90''-Aufschrift lächelt. Und ja, genauso super sieht sie auch aus. Sie schreitet in selbstbewussten Schritten in ein Schulgebäude, obwohl sie das picklige Realschulalter glücklicherweise hinter sich gelassen hat. Sie folgt zielstrebig der Beschilderung in ein Klassenzimmer, gibt ihre Benachrichtigungskarte bei den ebenso-superandrogyn-aussehenden Wahlhelfermädchenjungs mit dem Lächeln und den weißen Zähnen ab, bewegt sich hinter eine Kabine und macht mit dem roten Filzschreiber und zwei Bewegungen ein Kreuz bei der PDS. Klingt bescheuert? Richtig!






Ein derartiger Wahlwerbespot, und sei die angepriesene Partei noch so fortschrittlich, wäre nicht nur blöde, sondern auch ein Lüge. Alle Parteien versuchen sich einer optischen Neuen Mitte anzunähern. Optisch, weil es hier in erster Linie um ein junges, dynamisches Image geht. Und da arbeitslose Junkies und anschaffende Kanaken wenig Innovation ausstrahlen, wendet man sich den ,,jungen Internet- Existenzgründern'' zu, die nicht kritisieren und regulieren wollen, sondern etwas WAGEN. Eben Leistungsträger statt Bremsklötze. In einer sich durch Werbeagenturen und Marketing-Dienstleistern bestätigenden Gesellschaft, in der alle so jung und liberal wie Guido, so fit und schlank wie Joschka und so chic und charismatisch wie Gerd sein wollen, wird die Jugend zunehmend überflüssig.

Aber auch die Pop-unkompatibelste Partei des dahinsiechenden Sex-Appeals (PDS) - weil Interessenvertretung des sächselnden ,,kleinen Mannes'' - ist eine gewöhnliche, stinklangweilige - eben demokratische - Partei. Ausgestattet mit Ortsvereinsfunktionären, Seniorengruppe, Sandkastenabteilung und Cohiba-rauchenden Männerbünden in der Chefetage. Kaum etwas spiegelt so wenig das Lebensgefühl der jungen Generation wieder wie eben Genanntes. Steckt hinter dem Schlagwort der Politikverdrossenheit nicht mehr? Zeigt diese Verweigerung gegenüber diversen Ritualen des Parteilebens nicht auch ein Höchstmaß an politischem Protest? Zumindest solange dieser nicht in Faschismus und Intoleranz umschlägt.

Es ist ja kein Zufall, dass ausgerechnet die Westerwellen und Biedenköpfe, Massenproduzenten der Politikverdrossenheit, bei der niedrigen Wahlbeteiligung der Herbstwahlen eine Schwächung der Demokratie sehen. Demokratie ist mehr, als alle vierfünf Jahre ein Kreuz bei SPDU auf dem Stimmzettel zu machen. Es gilt immer noch, das Kreuz des Kapitalismus zu brechen.

Ein schlauer Politologe der Heinrich-Heine-Uni Düsseldorf bestätigte via Phoenix, dass es in den letzten Jahren einen numerischen Anstieg von sog. Spassparteien gibt. Das Phänomen, welches sonst nur bei Wahlen zu Studierendenparlamenten an den Hochschulen aufkommt, spiegelt sich vor allem bei Stadtstaaten mit subkulturellem Milieu wie Hamburg oder Berlin wider. Die Anarchistische Pogo Partei Deutschlands (APPD) überwandt bei den letzten BVV-Wahlen in St. Pauli mit Leichtigkeit die 5%-Hürde und kaufte von den Wahlkampferstattungsgeldern Bier, Bier, Bier. Und Bier. Kultureller Fortschritt der Hanseaten-Metropole. Wahrscheinlich waren sie die Einzigen, die ohne Probleme alle Wahlversprechen einhalten konnten, und wenn nicht, würde es trotzdem niemand übel nehmen. Bei den jüngsten Berliner Wahlen traten erneut die Kreuzberger Patriotischen Demokraten / Realistisches Zentrum (KPD/RZ) an, in Friedrichshain die Friedrichshainer Amorphen Zentralisten (F.A.Z.). Die Namen persiflieren politische Auseinandersetzungen - vor allem in der Linken. Eine kulturelle Bereicherung bei den Bundestagswahlen war vor allem Chance 2000, der Politausflug des Künstlers, Theater- und Filmemachers Christof Schlingensief.

'68 revoltierten Jugendliche gegen das Establishment, in den '70er Jahren splitteten und bekriegten sie sich in K-Gruppen, zerbombten den Klassenfeind, blieben wahlweise auf Trips oder Esoterik hängen und waren Punk-gerecht dagegen. Anfang bis Mitte der Achtziger kam der letzte Versuch mit dem Rest der neuen sozialen Bewegungen und der Autonomen Antifa, die von den Grünen geschluckt wurden. Jetzt ist alles anders und heterogener. Darüber können auch ein paar kiffende Alternativlinge nicht hinwegtäuschen, die irgendwo zwischen Grungekonzert und Grow-Shop den Zug verpasst haben. Wir erleben Techno, den Protest gegen den Protest.Natürlich stehen die Spasslisten in erster Linie in Konkurrenz zur alternativen Linken, also PDS, Grüne und vielleicht ÖkoLi. Doch die sub-kulturelle Lufthoheit haben diese Parteien längst verloren, es ist ihr eigenes Verschulden. Die bürgerliche Öffentlichkeit und den Staatsapparat stört das wenig, Spassgruppen bedeuten keine Gefahr für das System und dienen als Beweis, dass ihre liberale Demokratie vielfältig ist und funktioniert. Die Linke heute muss sich gegen Rot-Grün abgrenzen, den Kapitalismus überwinden. Sie muss dafür kämpfen, dass alle Menschen das Recht auf Spass, Trips, Faulheit und Liebe haben. Dabei wird sie furztrocken, stinklangweilig und bierernst sein - aber wen stört das schon!