[ Jens Prietzel ]

SCHEINBARE WIDERSPRÜCHE. Einerseits werden LehrerInnenstellen abgebaut, müssen LehrerInnen länger arbeiten und werden immer älter. In den Mathematikbüchern stehen neben den Rechenaufgaben die Ergebnisse, die unsere Eltern dankenswerterweise dort einst mit dem Bleistift verewigten. So manches Turnhallendach erlaubt den freien Blick auf die Einflugschneise des städtischen Flughafens und der Zustand der Toiletten erinnert an die Innenstadtszenen von Independence Day. Als Grund für die notorische Unterfinanzierung des öffentlichen Schulwesens müssen die leeren öffentlichen Kassen herhalten: Es ist kein Geld für neue Bücher und LehrerInnen da, Zuschüsse für Schulessen und Klassenfahrten müssen gestrichen werden. Der Staat spart und kürzt, weil er – um des Standortvorteils wegen – die satten Gewinne des Kapitals vor dem Zugriff der demokratischen Öffentlichkeit verschonen will. Andererseits wird seit Jahren von PolitikerInnen und Wirtschaftsvertretern auf die enorme Wichtigkeit einer soliden schulischen Bildung, gerade im Hinblick auf die hereinbrechende ,,Wissensgesellschaft'', verwiesen. Dass für die allseits beschworene ,,Investition in das zukünftige Humankapital'' auch verstärkte finanzielle Aufwendungen benötigt werden, ist fester Meinungsbestandteil von Wort zum Sonntag bis BDI. Viele der großen Konzerne, Versicherungen und Banken, die nicht müde werden, ihre steuerliche Entlastung von öffentlichen Aufgaben einzufordern und durchzusetzen, präsentieren sich denn auch großzügig als die neuen Geldgeber für die Schulen von morgen.

NEOLIBERALISMUS IN DER SCHULE. Dabei zeigt bereits die Investitions-Metapher und die Klassifizierung der Schülerinnen und Schüler als ,,Humankapital'' klar an, unter welchen Gesichtspunkten und mit welcher Zielstellung hierzulande über die Zukunft der Schule debattiert wird: Es geht um ihre kapitalkonforme Ausrichtung, die Teilprivatisierung von individuellen Bildungskosten und die selektive Förderung der Eliten von morgen. Um diese Ziele im Schulsystem durchzusetzen, greifen immer mehr BildungspolitikerInnen auf das Konzept der sogenannten Schulautonomie zurück, auch der ehemalige Bundespräsident R. Herzog meinte seinerzeit: ,,Entlassen wir die Schulen und Hochschulen in die Freiheit!''. Das es sich bei dieser ,,Freiheit'' nicht um den Eintritt in ein neues Bildungszeitalter mit freiem Zugang zu allen Bildungseinrichtigungen für jederman und -frau, sondern um die politische Verknüpfung der öffentlichen Finanzengpässe



mit dem neoliberalen Neuzuschnitt des öffentlichen Schulsystems handeln soll, wird vor allem bei der derzeitigen Ausbreitung des sogenannten Schulsponsorings deutlich:

WETTBEWERB UND EINFLUSSNAHME. Das Schulsponsoring soll und wird nach den Vorstellungen seiner BefürworterInnen zu einem direkten finanziellen Engagement von privaten Wirtschaftsunternehmen oder/und ihnen nahestehenden Stiftungen und Vereinen in einzelnen Schulen führen. Das genau durch dieses Prinzip des Mäzenatentums eben jenen Unternehmen der direkte Zugriff auf ,,ihr'' zukünftiges ,,Humankapital'' und dessen Beeinflussung entsprechend der eigenen (Profit-) Interessen gelingt, wird von neoliberalen PolitikerInnen sogar begrüßt. Das Argument etwas vorsichtigerer Sozialdemo-kratInnen, die Schulaufsicht werde einen ,,Mißbrauch'' des Sponsorings und der Werbung in Schulen schon verhindern, dürfte angesichts der leer gehaltenen Staatskassen eine hilflose Phrase bleiben. Wenn die ,,autonomen'' Schulen kein Geld mehr für ihre Projekte, neues Lehrmaterial etc. haben, wird ihnen meist gar nichts anderes übrig bleiben, als sich im Konkurrenzkampf um die Sponsoren so gefügig wie möglich zu machen. Aus der Sicht des ,,großzügigen'' Sponsors macht das Sponsoring wiederum natürlich auch nur dann Sinn, wenn er damit Einfluß ausüben kann und am Ende etwas für ihn dabei herausspringt.

DEMOKRATIE DURCH AUTONOMIE? Seit Jahrzehnten kämpfen progressive Schüler-Innen und LehrerInnen um mehr Mitsprache- und Entscheidungsrechte für die zahlenmäßig größte Statusgruppe in jeder Schule: die Schülerinnen und Schüler. Das Ziel, nämlich aus ,,Betroffenen'', Beteiligte zu machen und damit die im Schulgesetz als Bildungsziel formulierte ,,Erziehung zum mündigen und demokratisch handlungsfähigen Bürger'' endlich in die Tat umzusetzen, scheint für die BefürworterInnen des Schulsponsorings jedoch überhaupt kein Thema zu sein. Zwar werden den SchülerInnen bzw. ihren gewählten VertreterInnen im Rahmen der Schulautonomie einige zusätzliche formale Mitsprache- und Entscheidungsrechte eingeräumt, zugleich werden aber die finanziellen Entscheidungsfreiräume durch die Minimierung der schulischen Globalhaushalte soweit eingeengt, daß man sich bestenfalls zwischen mehreren Sponsoren oder eben zwischen Projekt oder Nicht-Projekt entscheiden kann. Hinzu kommt, daß im Zuge der betriebswirtschaftlichen Umgestaltung der Schulen, eher die Schulleitung als die kollektiven Vertretungen der SchülerInnen gestärkt werden. Bedenkt man, daß die finanziell potenten


[7] DIE WARE.
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