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[ Ralf Siemens ]
Die Wehrstrukturkommission, im März 1999 von Rudolf Scharping eingesetzt, sollte
,,ergebnisoffen'' – aber unter Beibehaltung der Wehrpflicht – Vorschläge zur Zukunft
der Bundeswehr erarbeiten. Eine breite parlamentarische und öffentliche Debatte sollte
sich nach Abschluss ihrer Arbeit im Herbst 2000 anschließen, so jedenfalls Scharping vor
gut einem Jahr. Der Bericht der Kommission ist am 23. Mai 2000 vorzeitig vorgelegt worden.
Bereits acht Tage später trat Scharping mit einem eigenen Papier an die Öffentlichkeit.
Eile schien ihm geboten: Vor dem politischen und militärischen Hintergrund des Kosovo-Krieges
sollte die Bundeswehr schnellstmöglich befähigt werden, weltweit Krieg zu führen. Eine
öffentliche Diskussion darüber wollte er jedoch vermeiden. Scharpings Konzeption ,,Eckpfeiler
für eine Erneuerung von Grund auf'' ist vom Kabinett am 14. Juni gebilligt worden. (1)
Für weltweite Kriegführung sollen ,,Einsatzkräfte'' in einem Umfang von 150.000 Soldaten
bereitgestellt werden. Priorität wird der Verlegefähigkeit über strategische Distanzen und
der satellitengestützten Aufklärung eingeräumt. Ein ,,Einsatzführungskommando'' – das Wort
Generalstab wird vermieden – soll die Einsätze im Ausland planen und führen. Deutschland
soll Nato- oder EU-Einsätze als Führungsnation kommandieren oder eigenständig Kriegsoperationen
außerhalb Deutschlands durchführen können. Angestrebt wird die Kapazität, ,,eine große Operation
mit bis zu 50.000 Soldaten (...) über einen Zeitraum von bis zu einem Jahr oder zwei
mittlere Operationen mit jeweils bis zu 10.000 Soldaten über mehrere Jahre sowie jeweils
parallel dazu mehrere kleinere Operationen durchzuführen.'' Auf diese Weise soll die
Bundeswehr innerhalb der nächsten fünf bis sechs Jahre vollständig zu einer Interventionsarmee
umgebaut werden. Der Landesverteidigung, so räumen Scharping und auch das Kommissions-Papier
ein, wird keine relevante Bedeutung mehr beigemessen, denn es droht kein militärischer Angriff
auf deutsches oder auf Nato-Gebiet.
Damit entfällt endgültig jede verfassungsrechtliche Legitimation für die auf Zwang beruhende
Rekrutierung von Soldaten. Dass Wehrpflichtige weder eine Armee kontrollieren noch ein
Eigenleben von Streitkräften verhindern können, liegt auf der Hand: Ihr Einfluss auf die
militärischen Strukturen ist marginal. Wehrpflichtige dienen immer nur in den untersten D
ienstgraden und sind durch das Prinzip von Befehl und Gehorsam eingebunden. Alle
Aggressionen Deutschlands, einschließlich des rechtswidrigen Angriffs auf Jugoslawien,
sind mit Wehrpflichtarmeen durchgeführt worden. Auf die weinenden deutschen Soldatenmütter
wird insofern Rücksicht genommen, als zu Auslandseinsätzen ausschließlich Freiwillige
abkommandiert werden.
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