
[ Oliver Enste ]
,,Wir sind HOMO S@PIENS – Widerstand ist zwecklos – Sie werden assimiliert!'' Ray Kurzweils
Vision vom Leben im neuen Jahrtausend. Auf die Frage, ob er Computer mag, antwortet Ray Kurzweil:
,,Mögen? Nein, dazu fehlt ihnen die Intelligenz.'' Das soll sich seiner Meinung nach aber in den
nächsten Jahrzehnten bereits grundlegend ändern. In etwa 30 Jahren sollen Maschinen den Menschen
,,in allen Bereichen der Intelligenz übertreffen'', glaubt Kurzweil. In seinem Buch ,,the age of
spirituell maschines'' beschreibt er, wie er sich die rasante Entwicklung in eine Welt der
intelligenten Computer und das Leben der Menschen im neuen Jahrtausend vorstellt. #
,,Homo sapiens. Leben im 21. Jahrhundert. Was bleibt vom Menschen?'' – lautet der Titel der deutschen
Ausgabe.
1950 erfand der Wissenschaftler Alan Turing einen ,,Intelligenztest für Computer''. Bei
diesem Test kommuniziert ein men-schlicher Richter über Terminals mit einer Maschine und
einem anderen Menschen. Er muß herausfinden, wer Mensch und wer Maschine ist. Wenn der
Computer es schafft, den menschlichen Richter zu täuschen, habe er ein menschliches Niveau
an Intelligenz erlangt. Diesen Test würden ,,handelsübliche Rechner'' bald mit Leichtigkeit
bestehen, ginge es nach dem ,,Fahrplan der Entwicklung'', den Ray Kurzweil entwirft.
Auch wenn das Buch sich wie ein spannender Science Fiction Roman lesen mag, reich an
populärwissenschaftlichen Gedankenspielereien ist und der Autor sich seiner Sache viel
zu sicher zu sein scheint, - er vergisst nicht darauf hinzuweisen, das es sich um eine
,,Vision'' und noch dazu seine persönliche handelt. Und interessant ist diese unbedingt,
zumal Kurzweil unbestritten weiß, wovon er spricht, wenn es um die Möglichkeiten der Nutzung
bereits vorhandener Entwicklungen geht, denn da sitzt er in seinem Massachusetts Institute
of Technology (MIT) schließlich an einer der Quellen der Erkenntnis. Und zudem geht es in
seinem Buch wohl weniger darum, wie in der Kritik viel behauptet, einen genauen
,,Zeitpunkt für das Verschwinden der Menschheit'' zu nennen, sondern vielmehr darum, wie ein
Leben mit intelligenter Technik aussehen könnte und welche Folgen das für unsere
Definition von Menschsein hat.
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,,Die erforderliche Technik entwickelt sich immer schneller. Schon jetzt arbeiten Computer
in einigen Bereichen besser als wir: Sie siegen beim Schach, analysieren erfolgreicher
Börsenkurse und kein Mensch kann eine Cruise Missile so genau ins Ziel lenken. Die Anfänge
einer Technik sind immer primitiv. Wenn die menschliche Intelligenz nur von der
Geschwindigkeit einzelner Hirnzellen abhinge, bräuchten wir uns nicht über die Zukunft zu
unterhalten. Doch jede Zelle ist mit tausend anderen verbunden und alle arbeiten parallel.
Pro Sekunde finden in unserem Kopf 100 Trillionen Entscheidungen gleichzeitig statt: eine
gigantische Rechenleistung. Die werden Computer bereits in zwanzig Jahren erreichen.'' Dann
seien die Rechner in der Lage, das menschliche Gehirn zu scannen und nachzubilden, behauptet
Kurzweil. Ohne technische Hilfsmittel und Neuroimplantate sei der Mensch dann nicht mehr
in der Lage, sinnvoll mit den Maschinen zu kommunizieren. Technische Hilfsmittel werden heute
schon vielfach angewandt, vom Herzschrittmacher über das Hörgerät bis zur computergesteuerten
Prothese. Und so wenig wie wir uns heute an einer normalen Brille stören, stören wir uns
vielleicht in Zukunft an einer Cyber-Brille, die Daten direkt auf die Netzhaut überträgt und
sowohl bessere Bilder aus der Umgebung überträgt, als das Auge, als auch Daten aus dem
Internet oder sonstigen Quellen downloaden kann.
Gänzlich unrealistisch sind die Vorstellungen des Erfinders Kurzweil natürlich nicht. Doch
auch wenn er sich bemüht seine Vision von der Entstehung künstlichen Bewußtseins in die
Evolutionstheorie einzuarbeiten und wissenschaftlich zu untermauern, wie es genau zu dem
,,Quantensprung'' kommen soll, bei dem sich die intelligenten Maschinen von selbst zu Wort
melden und eine ,,Debatte über die Würde der Maschinen'' beginnen, kann er dann auch nicht
erklären, flüchtet sich in Ausführungen über ein ,,Gesetz des steigenden Ertragszuwachses''
in der Evolution, das in der Steigerung der Rechenleistung von Computerchips seine
Fortsetzung findet. Doch angenommen, die vom Menschen

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entwickelte Computertechnologie sei eine Fortsetzung der Evolution und die Technik würde,
wie auch immer, den Sprung ins Bewußtsein vollziehen. Die Grenze zwischen Mensch und Maschine
würde tatsächlich fallen, es käme zu Verschmelzungen beider Spezies. Welche Auswirkungen
hätte dies auf unser Leben, außer das wir aussähen wie die Bork in Star Trek?
Konsequent weitergedacht führt das Szenario tatsächlich zu einer Art weltweitem
Bork-Kollektiv: Die intelligenten Rechner bilden ein globales Netz, aus dem wir alle unsere
Informationen, bis hin zur optimalen Steuerung unserer Körperfunktionen direkt ins Gehirn
gespeist bekommen; die Computer sorgen für einen optimalen Ablauf aller Bewegungen auf
der Erde, für eine optimale Befriedigung aller Bedürfnisse der Kollektivmitglieder.
Bewegungen außerhalb des Kollektivs stören den Bewegungsablauf des Gesamtsystems und
müssen assimiliert oder vernichtet werden. Das mag sich für Individualisten vielleicht
abschreckend anhören, würde aber wirklich eine Lösung für die Probleme der Menschheit
und eine Perspektive zum Überleben der Erde darstellen. Ob Ray Kurzweil das aber
tatsächlich so gemeint hat und ob seine intelligenten Maschinen dann den Kapitalismus
als Störfaktor beseitigen und weltweiten Sozialismus aufbauen würden, darf bezweifelt
werden. Sein Homo Sapiens bleibt freier Unternehmer und nutzt sein Implantat zur
Leistungssteigerung im Sinne des Profits. Schade eigentlich, dann können die
intelligenten Maschinen ganz so intelligent ja nicht sein. Trotzdem sehr lesenswert!

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