
[ Michael Lindner ]
Vor dem Hintergrund einer Neudefinierung der Frauen- und Gleichstellungspolitik in Deutschland
wird immer wieder darüber diskutiert, wie der koeduktative Ansatz im Bildungssystem umgesetzt
wurde und ob es gilt, ihn zu reformieren – oder diesen gar ganz abzuschaffen.
HISTORIE. Die Geschichte der Koedukation ist ein Beispiel für die Brüche im Bildungssystem
Deutschlands und könnte daher widersprüchlicher nicht sein. Erstmal zurück ins finstere Mittelalter.
Damals war der allgemeine Schulbesuch nur für die Kinder der damaligen Feudalklasse normal. Aber
auch nur für die männlichen Nachkommen.
Das war auch noch so, als die sich im 19. Jahrhundert neu herausbildende Klasse der Besitzenden Ihre
Kinder in die Schule schickten: Männer, wo mensch hinblickte. Frauen waren bis weit ins 19. Jahrhundert
von der Schulbildung weitestgehend ausgeschlossen. Ziel der Eltern war es, aus heutiger Sicht, Mädchen
gut zu verheiraten, Wissen war da nicht von Bedeutung. Alles, was junge Mädchen zu lernen und zu
wissen hatten, waren häusliche Fähigkeiten.
Die arbeitenden Massen schickten auch meist die Jungen zur Schule (wenn überhaupt, was zum Teil auch
der hohen Kinderarbeit geschuldet war. Einen der besten Berichte dazu findet mensch bei Marx (Das
Kapital) Noch heute kann mensch diesen Zustand in den Ländern der sog.Dritten Welt beobachten, in denen
Kinderarbeit vorherrscht. Ein anderer Grund waren Mangel an Geld: die Arbeiterfamilien konnten sich
das Schulgeld einfach nicht leisten. Somit wurde der Älteste zur Schule geschickt – damit mal ,,was
besseres aus ihm werden soll''.
Es war also mehr als logisch, das sich die ersten Sozialisten neben dem Wahlrecht für Frauen
die gleiche Bildung für Frauen auf die Fahnen geschrieben haben. Im ersten Buch,
|

welches sich mit ,,Frauenpolitik'' befasst – Die Frau und der Sozialismus von August Bebel –
ist diese Forderung auch enthalten.
Auf die einzelnen Wirrungen in der deutschen Bildungsgeschichte einzugehen, wäre müßig und
würde am Ziel vorbeiführen. Soviel sei jedoch gesagt:
ERSTENS: Mit der Einführung der allgemeinen Schulbildung wurde auch Bildung für junge
Mädchen normal. An getrennten Mädchenschulen lernten Sie hauptsächlich häusliche Fähigkeiten –
während Jungen getreu dem kapitalistischen Ansatz zu Handwerk und Technik erzogen wurden –
Naturwissenschaften blieben den Gymnasien und der Universität vorbehalten.
ZWEITENS. Nach 1933 änderte sich nicht viel – auch wenn die Bosse der großen
Rüstungsunternehmen im Ersten Weltkrieg gemerkt hatten, wie ,,gut'' sich Frauen in der
Produktion einsetzten lassen und die Bildung für Mädchen ausgeweitet wurde – das Prinzip der
getrennten Schulen blieb. Und an einen Universitätsbesuch war für die meisten Frauen noch
nicht einmal zu denken.
DRITTENS. Erst im Nachkriegsdeutschland wurden in beiden Teilen die Klassen
zusammengelegt – im Westteil eher schleichend, ohne offiziellen Beschluss, in der DDR mit
Beginn des Unterrichtswesens. Die Durchsetzung des koedukativen Unterrichts kam nicht etwa
durch große Demonstrationen der Frauen- und Gleichstellungsbewegung, sondern heimlich,
still und leise.
Aber ist koedukativer Unterricht heute noch modern? Oder ist es nicht vielleicht besser
gewesen, Jungen und Mädchen getrennt zu unterrichten? Diese Fragen beschäftigen Schulforscher
heute – und auch unter den fortschrittlichen Kräften Deutschlands ist es nicht mehr
unumstritten.
|

NEUERE FORSCHUNG. Mit dem Verweis auf einen Schulversuch in Baden-Württemberg geht
die These einher, das Mädchen bessere Ergebnisse in naturwissenschaftlichen Fächern wie Physik
erzielen, wenn Sie getrennt unterrichtet werden. Klar, wird sich mancher sagen, Jungs können
so vorlaut sein. Richtig ist, das Jungen (dem Klischee nach) in der Naturwissenschaft die
besseren Ergebnisse haben, richtig ist auch das Mädchen (das gleiche Klischee) besser in
Sprachen sind.
Woran mag das liegen. Männliches Redeverhalten? Dominanz? An den Lehrern? Eine Mischung aus
diesen drei Faktoren: Lehrer (auch Lehrerinnen) erkennen die Leistungen von Jungen anders
an als von Mädchen. Jungs beherrschen bereits die Grundzüge des männlichen Redeverhaltens
(reinreden, vordrängeln und alles doppelt und dreifach sagen) und sie dominieren damit
den Unterricht (nicht nur in der Naturwissenschaft).
AUFHEBUNG DER KOEDUKATION? Also müsste doch die teilweise Aufhebung der Koedukation
von Vorteil für das Lernverhalten von Mädchen und Jungen sein? Ja, die teilweise schon.
Denn trotz möglichen Lernerfolgen, die im getrennten Unterricht erzielt werden können, kommt
es auch darauf an, das im gemeinsamen Unterricht die Zusammenarbeit mit dem ,,anderen''
Geschlecht erlernt wird. Aber nur durch die teilweise Aufhebung ist das Problem noch nicht
gelöst: wichtig ist es auch, den Jungen und den Mädchen die Möglichkeit zu geben, sich
auszuprobieren. Auch Lehrer könn(t)en dazu einen großen Teil beitragen, wenn Sie nicht mehr
so sehr in Ihrem alten Klischeedenken verhaften sind (besonders bei älteren Lehrern zu
beobachten). Jungs sind nicht besser in Physik und Chemie, nur weil sie Jungs sind. Der
Autor hat heute noch keinen Plan davon. Mädchen sind ebensowenig besser in sprachlichen
oder künstlerischen Fächern, nur weil sie Mädchen sind.
|